Ralph Ogden sitzt in Wohnzimmer seines Hauses, es sieht nach Umzug aus, Kisten stehen herum, Regale sind leer geräumt, ein Fahrrad lehnt an der Wand. Ogden spielte 36 Jahre Basketball für den OTB. Jetzt durchforstet er die Reiseunterlagen: Wie viel Übergepäck darf er mitnehmen? Ein Gespräch, kurz bevor die Möbelpacker kommen: Ogden kehrt zurück nach Kalifornien.
Herr Ogden, vor vierzig Jahren kamen Sie nach Deutschland. Als erster Spieler aus der amerikanischen Profibasketballliga NBA. Was war Ihr erster Eindruck?
Ralph Ogden: Eine sehr niedrige Halle, die Haarenufer-Halle in Oldenburg. Ich spielte damals zunächst für den VfL Osnabrück. Wir hatten ein Pokalspiel gegen den Oldenburger Turnerbund. Ich werde nie vergessen, wie ich in diese Halle gekommen bin. Dieses niedrige Dach! Ich habe geguckt und gedacht: Wo bin ich hier gelandet?
In einer Garage, so ungefähr?
Ja.
Sie waren anderes gewohnt.
Wenn Du im Madison Square Garden gespielt hast vor 20.000 Leuten, das ist ein kleiner Unterschied.
Wie kamen Sie als NBA-Profi nach Osnabrück?
Die waren Pokalsieger und hatten Großes vor. Kurz vorher hatte Leverkusen einen Amerikaner bekommen, John Ecker. Er war aus UCLA gekommen, der University of California in Los Angeles, und die Osnabrücker haben dann auch ihre Fühler ausgestreckt. Sie trafen meinen Agenten. Zwei Wochen später war ich in Deutschland.
Der erste NBA-Profi.
Und das war ein Problem.
Warum?
John Ecker wusste das und hat gesagt: Er darf nicht spielen, weil er als Profi gespielt hat. 1972 war Basketball in Deutschland Amateursport. Ich musste zwei Monate warten und den Generalsekretär der International Basketball Federation anrufen. Dr. Jones in London. Er sagte: Wenn Du Dich in die Gesellschaft einfügst und arbeitest, nicht nur Basketball spielst, kannst Du spielen.
Haben Sie dann gearbeitet?
Ich habe immer gearbeitet, seit dem ersten Tag in Deutschland.
Als was?
Sie haben mich in das Lager eines Supermarktes geschickt, da musste ich rein in den Kühlraum, was holen, wieder raus, hin und her, natürlich wurde ich sofort krank. Dann habe ich für einen Architekten gearbeitet, als Mädchen für alles, und das alles, ohne richtig Deutsch zu sprechen.
Sie hatten in der NBA gespielt, bei den San Francisco Warriors. In der besten Liga der Welt. Warum Osnabrück?
Osnabrück war erfolgreich, und komischerweise wollte ich schon als Kind immer nach Europa. Ich lief durch die Gegend und hatte Sweatshirts an mit Bach und Beethoven, die haben mich da für verrückt gehalten. Es hat mich gereizt. Was hinzu kam: Es war die Zeit des Vietnam-Kriegs, ich war zur Grundausbildung eingezogen worden. Mein Vater war einer der höchst-dekorierten Soldaten im Zweiten Weltkrieg, da gab es für mich gar keine Möglichkeit, nicht zum Militär zu gehen. Als ich wieder zurück kam, hatten die Warriors keinen Platz mehr für mich.
In den USA hatten Sie einen großen Rivalen: Kareem Abdul-Jabbar. Kein Spieler hat mehr Punkte in der NBA gemacht. Und Sie trafen ihn schon zu College-Zeiten.
Wir waren die zweit- oder drittbeste Mannschaft in der College-Liga und hatten es mit UCLA zu tun. Und wer spielte da? Kareem Abdul-Jabbar.
Der damals noch anders hieß.
Lew Alcindor.
Ralph Ogden, Santa Clara University, gegen Lew Alcindor, UCLA. Und der war…
…nicht zu schlagen. Der war 2,14 m oder so, hatte unheimlich lange Arme, der konnte alles machen.
Was war die Spezialität? Der hat immer …
…Sky Hook. Von hier oben, kam kein Mensch ran. Wir hatten nie eine Chance.
Und später in der NBA hatten Sie es wieder mit ihm zu tun.
Wir kamen mit den Warriors in die Playoffs und mussten gegen die Milwaukee Bucks spielen – schon wieder Kareem. Da waren wir raus. Seinetwegen.
Sie blieben nur ein Jahr in Osnabrück und zogen weiter. Zwei Jahre Essen, wieder ein Jahr Osnabrück, dann Oldenburg. Der OTB spielte damals, 1976, in der vierten Liga. Was wollten Sie da?
Damals lernte ich meine heutige Ex-Frau kennen, eine Oldenburgerin. Ich bin zu ihr gezogen und gependelt. Lange Fahrten am Wochenende, immer zwischen Essen und Oldenburg hin und her. Weil das auf Dauer zu weit war, bin ich zur BG Osnabrück gewechselt, habe aber weiter in Oldenburg gewohnt. 1976 dann trafen wir auf dem Marktplatz einen OTB-Spieler. Ich fragte, ob ich bei denen mittrainieren dürfe. Er sagte: Ja klar, wir trainieren montags, komm’ mal vorbei. Und so fing es an.
Wo war das damals?
In der alten Haarenufer-Halle, also nicht in der Halle mit der Tribüne, in der wir spielen, sondern vorne, die alte Halle.
Da sind sie dann mal zum Training gegangen?
Ja.
Und daraus wurde eine lange Ehe.
Eine sehr lange Ehe, ja.
Gehörten sie sofort dazu?
Ja, wie das so ist im Basketball, überhaupt, wenn Du in einer Mannschaft bist: Wenn Du Deine Nase sauber hältst, ein netter Kerl bist, ruhig, nicht überheblich und ein guter Sportler, dann bist Du normalerweise sofort akzeptiert. Benno Bünnemeyer, Klaus Barkemeyer, Klaus Seeberg, Daddy Krüger, all diese alten OTBer – also Leute in meinem Alter – mit denen lief das. Ich fühlte mich sehr gut.
Was war Oldenburg damals für eine Stadt?
Die europäischen Kleinstädte haben mir gefallen, auch Essen, eine Großstadt. Dann bin ich in Oldenburg angekommen, in dieser kleinen Stadt. Idyllisch, ruhig, nette Leute – na gut, eine Beamtenstadt, vielleicht sind die Oldenburger manchmal ein bisschen zu ruhig. Aber die Stadt hat mir sehr gut gefallen. Das Wasser, das Schloss, alle diese Sachen. Die Leute kamen mir sehr entgegen, die waren alle sehr freundlich. Meine Frau hatte viele Freunde hier, wir waren oft eingeladen, jeder wollte den Amerikaner kennen lernen. Das war auch ein bisschen aufregend. Ich fühlte mich wohl, wir bekamen Kinder, es ging immer weiter, auch mit Herrn Lange.
Der damals Direktor der Oldenburger Molkereizentrale war und sein Herz für den Basketball entdeckt hatte.
Er spielte eine sehr große Rolle für mich, er hat mir einen Ausbildungsplatz angeboten bei der Molkerei. Als ich da arbeitete, rief er mich jeden Tag einmal: Herr Ogden, kommen sie nach oben. Und ich dachte: Scheiße, was habe ich jetzt gemacht? Dann saß er hinter seinem Tisch und sagte: Mach’ die Tür zu. So. Was machen wir mit Basketball? Es wurde eine einmalige Verbindung zwischen ihm und mir. Ich habe das Sportliche gemacht, ihm die Ideen geliefert, er hat ausgeführt: Wir brauchen einen großen Mann, einen kleinen Mann oder einen Deutschen oder was weiß ich. Einmal hat er mich nach oben geholt und gesagt: Herr Ogden, ich habe kein Hobby, ab sofort sind Sie mein Hobby.
Eine Art Vaterfigur?
Oh ja. Aber nicht nur für mich, er und seine Frau Elisabeth waren für alle Spieler da.
Trotzdem: vierte Liga. Das war ein Rückschritt.
Richtig, aber wir sind dann sofort aufgestiegen, zweimal, bis in die zweite Liga. Da sind wir lange geblieben, später ist der OTB zweimal in die Bundesliga auf- und wieder abgestiegen.
Mit Ihnen als Trainer.
Erst als Assistenztrainer. Als es nicht so gut lief, wurde ich Headcoach. 1985 stiegen wir auf – und im Jahr darauf wieder ab.
Und 1987 wieder auf.
Und wieder ab. Aufgestiegen, abgestiegen, aufgestiegen, abgestiegen.
Eine Fahrstuhlmannschaft.
Genau. Und 1990 sah es in der Abstiegsrunde in der zweiten Bundesliga nicht gut aus, da habe ich gesagt: Ich gehe.
Sie wurden Trainer in Wolfenbüttel und Manager in Hagen. Mitte der neunziger Jahre kehrten Sie zurück nach Oldenburg und wurden wieder Trainer.
Gerold Lange hat mich wieder aufgenommen. Ich wurde Assistenztrainer von Michael Pappert…
…dem ehemaligen Kapitän der Basketball-Nationalmannschaft, der beim OTB seine Karriere hatte ausklingen lassen und damals Trainer war.
Und ich habe mich immer gefragt: Warum spielt Michael denn nicht, er war so gut. Aber er wollte nicht. Und als wir wieder kurz vor dem Abstieg standen, fragte Gerold Lange mich: Was ist das Beste für uns? Ich habe gesagt: Dass Michael wieder spielt. Ich habe dann den Trainerposten übernommen und Michael spielte wieder. Wir haben dann, glaube ich, nur noch ein Spiel verloren. Nicht weil ich Coach war, sondern weil er gespielt hat.
Sie hätten dann nach Würzburg wechseln können.
Holger Gschwindner rief an und sagte: Hör’ mal, wir haben hier die jungen wilden Leute, die sind teilweise NBA-reif. Einer davon hieß Dirk Nowitzki, Holger hat ihn entdeckt. Ich fuhr hin, bekam einen Vertrag und eine Arbeitsstelle, es stand alles fest. Ich brauchte nur noch zu unterschreiben. Ich wollte darüber nachdenken. Der OTB tat sich gerade mit der TSG Westerstede zusammen, Hermann Schüller hatte gerade angefangen…
…der heute Geschäftsführer der EWE-Baskets in der Bundesliga ist.
Der sagte: Ach, vergiss’ das mit dem Vertrag, schreib’ uns einen Vertrag. Ich machte das – er unterschrieb und gab ihn mir. Ich habe ihn selbst aber nicht unterschrieben zurückgegeben. In Würzburg habe ich abgesagt, wegen Hermann Schüller. Dann haben wir die ersten beiden Spiele verloren, abends sagten Lange und Schüller: Wir wollen am nächsten Tag mit Dir sprechen. Ich bin da angetreten, da saßen die beiden, Lange sagte ganz sachlich: Wir wollen uns von Dir trennen. Dann schaltete er den Fernseher ein und guckte fern. Und Schüller redete 45 Minuten auf mich ein. Ich habe das nicht verstanden.
Eine große Enttäuschung?
Nicht nur für mich, für die gesamte Mannschaft. Wenn man im Fußball 24 von 34 Spiele verloren hat, den Trainer zu wechseln, das verstehe ich. Aber nicht nach zwei Spielen. Die Spieler haben das auch nicht verstanden, wir haben darüber gesprochen, sie sagten: Was soll das denn? Aber das ist Geschichte. Das Problem war, dass ich den Vertrag hatte, ich bekam noch Geld und nahm mir einen Rechtsanwalt. Gegen Herrn Lange, den ich sehr schätze, über alles. Das ist vielleicht der schwarze Punkt in meinem gesamten Basketball-Leben in Oldenburg, aber das war mein gutes Recht.
Wie ging es aus?
Ich habe gewonnen, wobei deren Rechtsanwalt vergaß, den Vertrag zu kündigen. Der lief also eine ganze Zeit weiter.
Und heute?
Heute können wir uns in die Augen gucken, aber damals hat es mich richtig geärgert. Was soll das denn? Nicht mit mir. Es ist eine blöde Geschichte, aber so war das damals.
Trotzdem sind Sie dem OTB treu geblieben, haben Nachwuchsmannschaften trainiert und wurden andauernd deutscher Seniorenmeister, 17 mal.
Der Verein war meine Familie, da waren viele andere Leute, die mir wichtig waren.
Dass sie jetzt zurückgehen, hat mit einer Schulfreundin zu tun.
Bitte sehr, das ist Arlene. (Er zeigt ein Bild auf seinem Laptop. Zu sehen: er und eine blonde Frau.)
Sieht nett aus!
Wir haben uns beim 90. Geburtstag meiner Mutter in San José getroffen, unserem Heimatort. Das war vor zwei Jahren. Sie sagte: Du gehst in Rente, ich gehe in Rente, überleg’ mal, was Du machst. Dann habe ich gedacht: Wieder nach Kalifornien, meine Mutter hat nicht mehr lange zu leben, das wäre eine Idee. Sie sagte: Du brauchst gar nichts, ich habe zwei Autos, in Haus in den Bergen, Du kannst kommen, wenn Du willst. Dann war ich in Brasilien, Senioren-Weltmeisterschaft, ich spielte für Deutschland. Ich fragte sie: Wenn Du willst, kannst Du in der Zeit nach Brasilien kommen. Und sie kam. Dann sagte sie: Ich komme aber auch zu Weihnachten. So ging das los. Also haben wir beschlossen, dass, wenn ich in Rente gehe, ich zu ihr ziehe.
Sie hat die Initiative ergriffen.
Sie hatte immer schon ein Auge auf mich geworfen. In der Highschool hatte sie ihren Spind genau unter meinem. Das hatte sie arrangiert. Sie hat es mir jetzt erst erzählt. Seit ich in Deutschland war, hat sie mir immer geschrieben, Bilder ihrer Kinder, Weihnachtsgrüße, ich habe die Briefe alle aufgehoben. Ich weiß nicht warum. Und meine Mutter hat immer gesagt: Hör’ mal, warum nimmst Du nicht Arlene? Und dann: Ach nee, sie ist zu gut für Dich. Okay, danke Mum!
Arlene hat dafür gesorgt, dass Sie nach 40 Jahren zurückgehen.
Ich wollte immer zurück. Die Frage war nur das Wie und Wann. Jetzt passt es. Auch wegen meiner Mutter, die nur noch ein paar Jahre zu leben hat. Lieber jetzt als zu spät. Hier wüsste ich nicht, was ich machen würde, jetzt, in der Rente, von heute auf morgen. Es ist ein neuer Anfang.
Haben Sie in all den Jahren hier etwas vermisst?
Wenn ich an meine Jugend denke und wie Amerika damals war: Das vermisse ich. Und natürlich meine Familie, meine Freunde, nicht jeden Tag mit meiner Mutter oder meinem Bruder etwas machen zu können, das fehlte. Mein Vater wurde krank und ich konnte nicht sofort da sein, solche Dinge.
Und was werden Sie von hier vermissen?
Alles. Ich habe so viele Freunde hier, nicht nur in Oldenburg. Meine jüngere Tochter ist aus Amerika gekommen und hat eine Überraschungsparty für mich organisiert, und ich war sehr überrascht und geehrt, wer da alles aufgetaucht ist. Die Leute werden mir fehlen, das habe ich denen auch allen gesagt. Es sind besondere Leute für mich. Oldenburg ist meine Heimat geworden. Als ich San José verlassen habe, lebten dort 160.000 Leute, das ist im Silicon Valley. Heute leben da 950.000, fast eine Million. Ich kenne es nicht mehr.
Spielen Sie weiter in der deutschen Nationalmannschaft Ü 60?
Bald Ü 65. Ich werde im Januar 65, ich hoffe, dass ich da einsteigen kann.
Sie wurden 1990 Weltmeister und 2009 in Prag Vize-Weltmeister.
Demnächst ist in Litauen Europameisterschaft. Aber ich kann nicht in Amerika ankommen und sagen: Okay, ich bin jetzt da-ha, aber jetzt muss ich nach Litauen, tschü-hüß! Ich werde versuchen, im Mai zur Deutschen Meisterschaft zurückzukommen.
Zum OTB?
Ich glaube schon.
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Ralph Ogden, 64, war der erste Spieler der US-Basketball-Profliga NBA, der nach Deutschland kam. Er spielte ab 1972 für Osnabrück und Essen und wechselte 1976 zum Oldenburger Turnerbund. Er führte die Mannschaft von der vierten in die zweite Liga. 1985 stieg der OTB auf – mit Ogden als Trainer. Ogden legte das Fundament für den Erfolg der Oldenburger Basketballer, die seit 12 Jahren in der ersten Bundesliga spielen, inzwischen als Baskets. Nach 40 Jahren in Deutschland kehrt Ogden jetzt zurück nach Kalifornien.
12:19
… sagt jemand, der ein Leerzeichen vor das Satzzeichen packt…
08:35
“komischer Weise” – gruselig !! Nicht das erste Mal, dass jemand hier seine sprachliche Inkompetenz offenbart.
20:33
@ Studienrat Danke für den Hinweis, ist korrigiert.
08:10
Mich hat er auch mal trainiert, ein Urgestein, das Basketballgesicht in Ol.
23:31
Was für ein gelungenes Interview mit Oldenburgs Basketballer No. 1! Vielen Dank dafür. Er hat viel für den Basketball hier getan, schön, jetzt zu seinem Abschied so ausführlich von ihm zu lesen! Alles Gute, Mr. Ogden! Und dem Lokalteil ein Lob – was für einen Klassenunterschied ihr immer wieder markiert im Vergleich zur Lokalpresse, Hut ab!